Kapitalismuskritik und Manager

Avantgarde des Wandels?

Großes Aufsehen erregte ein Marxismus-Seminar mit dem Jesuiten Professor Rupert Lay und dem RAF-Mitbegründer Horst Mahler, noch bevor das Management Institut Hohenstein die Veranstaltung überhaupt durchgeführt hatte. Wer jedoch auf ein Spektakel zwischen Ex-Terrorist und Exorzist gespannt war, wurde enttäuscht. Sie stellten gemeinsam ein ungewöhnliches gesellschaftstheoretisches Konzept für den sozio-ökonomischen Wandel vor, in dem Manager die Hauptrolle spielen.


Photo: Abisag Tüllmann

Jesuit Professor Rupert Lay (links), Ex-Terrorist Horst Mahler: „Die Manager müssen die neue Gesellschaft gestalten“



Für Leute, die von Karl Marx keine Ahnung haben, aber beim bloßen Wort „Marxismus“ rot sehen und sogleich ihrem Ärger Luft machen, verwendet Rupert Lay einen speziellen Begriff: „Aggressive Ignoranz“. Der bekannte Jesuit, Professor für Wissenschaftstheorie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule St. Georgen in Frankfurt, scheut sich nicht, seine Verachtung für jede Art selbstverschuldeter Unmündigkeit unmißverständlich auszudrücken: „Mir ist ein marxistischer Student doch wesentlich lieber als ein unengagierter.“

Engagement kennzeichnete denn auch das Seminar „Alternative Marxismus?“, welches das Management Institut von Dr. Götz Hohenstein kürzlich in Frankfurt veranstaltete - viel beachtet von einer Öffentlichkeit, die zuvor durch Protestbriefe und Zeitungsmeldungen auf eine angebliche „Geschmacklosigkeit“ eingestimmt worden war. Denn als Koreferenten neben Lay hatte Institutschef Hohenstein den ehemaligen Apo-Anwalt und RAF-Mitbegründer Horst Mahler eingeladen. Das Seminar sollte jedoch erweisen, daß der vermeintliche Publicity-Gag den Seminarinhalten dienlich war - sonst hätte Rupert Lay, wie er sagt, auch kaum zugestimmt.

Lay und Mahler entwickelten ein gemeinsames gesellschaftstheoretisches Erklärungsmodell, in dem Manager eine ähnliche Bedeutung haben wie einst die Arbeiterklasse bei Marx, das aber keine Revolution mehr vorsieht, Die Grundthesen beider Referenten: Der Markt vernichtet sich im Zuge fortschreitender Monopolisierung selbst. Auch mittelständische Anbieter halten diesen Trend nicht dauerhaft auf. Zwar haben wir keine Staatsplanwirtschaft, aber der Staat greift, um seine Macht zu erhalten, ganz erheblich ein und garantiert so die Aufrechterhaltung des (immer engeren) Marktes. Die Wirtschaft funktioniert nicht mehr ohne den Staat. Das Privateigentum, verstanden als Verfügungsgewalt über Produktionsmittel, wird zur Leerformel, der gesellschaftlich wichtigste Faktor heißt ,,Disposition“; seine Basis ist die Kompetenz des Managements.


Unisono appellieren Lay und Mahler an die Führungskräfte der Wirtschaft, sich auf sich selbst und auf ihre Rolle in der Gesellschaft zu besinnen: „Manager üben eine wichtige und notwendige soziale Funktion aus, Sie haben durch Erfahrung gelernt, wie ein komplexer Produktions- und Zirkulationsprozeß zu beherrschen ist, damit für die Gesellschaft etwas dabei herauskommt.“

Die Gemeinsamkeiten in den Ansichten der nach Biographie und Beruf so ungleichen Referenten überwogen bei diesem Seminar. Beide zeigten sich als bedingungslose Moralisten, der scheinbar robuste Mahler wie der fein-gliedrige Gelehrte Lay, der seine ätzende Rhetorik nicht einzusetzen brauchte, um widerspenstige Teilnehmer bei der Stange zu halten. Mahler verstand es, während der zwei Veranstaltungstage keine Zweifel an seiner gewandelten Überzeugung laut werden zu lassen.

Es war nicht nur die übliche Seminareuphorie, die sich gegen Ende solcher Veranstaltungen regelmäßig breit macht, weshalb hochkarätige Manager dem ehemaligen Todfeind des Establishments zu guter Letzt die Hand drückten; ihr zum Abschied gemurmeltes „Es war sehr interessant“ wäre als gruppendynamisch bedingter Euphemismus falsch interpretiert. Denn Hochstimmung kam in der intellektuell anspruchsvollen Seminaratmosphäre nicht auf.

Lay und Mahler säten Nachdenklichkeit. Mehr hatten sie nicht versprochen. Ihre Thesen erschienen den Teilnehmern zumindest diskussionswürdig, viele Behauptungen allerdings auch ungewohnt provokatorisch. Verärgerung gab es bei den Seminaristen jedoch nicht. Denn Lay genießt als Kirchenmann, zumal als wirtschaftsfreundlicher, einen gewissen Vertrauensvorschuß, und Mahler traute nach einigen Stunden des hautnahen Kontakts niemand mehr zu, sich bloß gut im Schafspelz zu verstecken.

Die Taktik der Seminarführung trug ein übriges dazu bei, die unausgesprochenen Erwartungen der Teilnehmer immer wieder zu unterlaufen: Mahler blieb die Destruktion der Marxschen Revolutionstheorie Vorbehalten, Lay die kompromißlose Kapitalismuskritik; Mahler wiederum beschwor die gesellschaftsgestaltende Rolle der Manager, und Lay, der sie schon länger kennt, relativierte zu hohe Erwartungen.

Die Notwendigkeit von Zielen

„Wir müssen uns endlich wieder Ziele setzen", fordert Lay eindringlich, und Mahler sieht Grund zum Optimismus. „Es ist bereits Tatsache, daß die Leute ihre Situation in der Gesellschaft neu durchdenken.“ Lay wird rigoros: „Für einen Christen ist keine Gesellschaft akzeptabel, die zwanzig Prozent ihrer Mitglieder als .Ausschuß' ansieht.“

Beide können - dies ihre erste Attacke - dem Liberalismus nichts mehr abgewinnen. Der ungenaue und sozialphilosophisch dürftige Freiheitsbegriff der Liberalen, ihr Glaube an eine ziellose Evolution, läßt für Rupert Lay die Position des Liberalismus als unhaltbar erscheinen. Der Jesuit: „Der Liberalismus ist tot.“ Perspektivlose Evolution im Sinne eines „Fortschritts des Schlafwandlers“ verschärfe die Sinnkrise in der Gesellschaft nur noch. Aber auch den eigenen Stall bezieht der Pater in seine Schelte ein: „Das Christentum verkauft sich schlecht. In dieses Vakuum stößt der Marxismus.“

Lay gibt sich nicht als plumper Antimarxist. „Der real existierende Sozialismus ist nicht im Sinne von Marx“, baut er unangenehmen Debatten über die kommunistischen Staaten des Ostblocks vor. Denn den kritischen Systemdenker Marx mit einem Verweis auf den Eisernen Vorhang oder Parteibonzen aus dem sowjetischen Machtbereich widerlegen zu wollen, sei ebenso beliebt wie dilettantisch. Ein Marx-Kenner wie der belgische Trotzkist Ernest Mandel wischte einmal entsprechende Einwände mit der Antwort vom Tisch: „Das gleicht dem Versuch, die Bergpredigt mit der Inquisition zu widerlegen“ (mm 11/1974).

Der Vergleich hinkt kaum, denn der Marxschen wie der christlichen Lehre liegt die konkrete Utopie einer nicht entfremdeten Menschheit zugrunde. Im Reich Gottes des Jesus von Nazareth wie dem Reich der Freiheit des Karl Marx spiegelt sich die gleiche Existenzbedingung des Menschen: Hoffnung.

Das Ende der Revolutionstheorie

Wesentlicher Teil des Seminars, der immer wieder aufgegriffen wurde, war die Abkehr vom Revolutionsgedanken. Seine Revolutionstheorie hat Marx bei den Gegnern verhaßt gemacht, den Marxisten in der westlichen Welt ist sie - soweit sie wie die Eurokommunisten nach Regierungsfähigkeit auf der Basis freier Wahlen streben - zum Trauma geworden. „Revolution ist Totallösung, Ankunft des Messias“, kennzeichnet Horst Mahler die von Marx postulierte eruptive Auflösung der gesellschaftlichen Widersprüche. Marx selbst befürchtete, die Revolution werde ausbrechen, noch bevor er sein „Kapital“ fertiggestellt habe. Der blinde Glaube an die Unvermeidlichkeit der Revolution verstellt so manchem Marxisten noch jetzt den Blick für „das Hier und Heute“ (Mahler).

Marxens Historischer Materialismus sowie seine Staats- und Revolutionstheorie sind jedoch nach Mahlers und Lays Worten keine Wissenschaft, wie immer noch von kommunistischen Dogmatikern behauptet, „sondern die Formulierung von Hoffnungen. Er hat die Ergebnisse seiner Ökonomie, die er später verfaßt hat, immer wieder auf die Staats- und Revolutionstheorie hingebogen, obwohl sie dieser widersprechen. Wegen dieses Widerspruches steht sich der Marxismus selbst im Weg.“

Mahler begreift den Marxismus heute nur noch als „heuristisches Prinzip“: „Ich behaupte nicht, daß im .Kapital' die Wahrheit steht, aber wir können mit seiner Hilfe die Wirklichkeit besser wahrnehmen und die Gesellschaft so gestalten, daß sie nicht in die Katastrophe gerät.“ Eine Marxismus-Kritik von außen, noch dazu bisweilen von „aggressiven, ignoranten Leuten vorgetragen, die Marx gar nicht erreichen“, so Lay und Mahler, trage zur Weiterentwicklung der Gesellschaft nichts bei. Aber: „Auch mit Verstaatlichung und Planwirtschaft ist nichts gelöst“, kritisiert Mahler. „System hochgradiger Ineffizienz“ oder „Zusammenbruchswirtschaft“ sind die Etiketten, die ihm zum Thema Ostblock einfallen - womit er, ganz einvernehmlich mit Rupert Lay, keine eigentliche Marxismus-Kritik verbindet.

Im Zuge der weiteren Demontage der Revolutionstheorie wirft Mahler Karl Marx vor, hinter die Hegelsche Logik zurückzufallen und die materialistisch-dialektische Seinslogik, die er für sich reklamiere, nirgends klar entwickelt zu haben. So seidieMarxsche Geschichtsphilosophie analog zu Newtons mechanistischem Weltbild durch einen Gesetzesdeterminismus gekennzeichnet, der so absolut nicht aufrechtzuerhalten sei: „Der naturwissenschaftliche Gesetzesbegriff ist auf Gesellschaften nicht anwendbar. Jede Gesellschaft ist ein individueller Prozeß. Identische Entwicklungen in verschiedenen Gesellschaften gibt es nicht, allenfalls Ähnlichkeiten und Parallelen/Die Schlußfolgerung von Lay und Mahler erscheint, so gesehen, stimmig: ..Der Marxismus ist eine Ideologie ohne Basis“, ein Überbau, der sich auf keine konkrete gesellschaftliche Lage stützen kann - nach Marxens eigenen Prämissen ein Ding der Unmöglichkeit.

 

Die Transformation der Gesellschaft

Nach Auffassung Lays bietet sich heute eher die Chance als in vergangenen Gesellschaftsformen, „daß alle Individuen, die guten Willens sind, sich zusammenschließen, um dieses System zu transformieren“, das heißt, seine grundlegenden Normen dem sich wandelnden kollektiven Bewußtsein seiner Mitglieder anzupassen. Lay und Mahler setzen auf die Regenerationsfähigkeit der bundesdeutschen Gesellschaft, die eine gezielte und gewaltlose Transformation in Richtung eines „zeitgemäßen Zustandes“ erlaube, in dem „die Normen der verfaßten Gesellschaft den begründeten Interessen ihrer Mitglieder entsprechen“. Zugleich veranschlagen sie das Integrationsvermögen dieses Systems so hoch, daß ihnen der Gedanke an eine Revolution derzeit abwegig erscheint. Doch Lay warnt: „Es ist denkbar, daß ein sozioökonomisches System so fixiert ist, daßseineTransfor-mation verhindert wird. Dann gibt es nur die Möglichkeit der Revolution, um die gefährliche Möglichkeit der Evolution zu vermeiden.“

Diese Möglichkeit sei deshalb gefährlich, weil westliche Industriegesellschaften weitgehend ungezügelt und ohne Zielvorstellung voranschreiten. Das System werde immer komplexer. Eine solche Entwicklung münde in die Einschränkung allen Handelns durch Sachzwänge — in eben die Unfreiheit, die Liberalen ein Greuel ist.

Veränderung stößt immer auf Vorbehalte. Die Referenten versuchten deshalb, Widerstände abzubauen und aus der Erläuterung zentraler Marxscher Kategorien die Notwendigkeit geplanten sozialen Wandels abzuleiten.

„Die verbreitete Horrorvorstellung, jede Gesellschaftsveränderung bedeute Enteignung, ist völlig unsinnig. Wir müssen uns den .Apparat' wieder aneignen. Das betrifft gerade die Manager“, verkündet Mahler und hat dabei die wirksamen Managementmethoden und -technlken im Sinn, mit denen Systeme - betriebliche wie staatliche -beherrscht werden können. Und Lay assistiert: „Die Instrumente zur Beherrschung des Systems haben sich verselbständigt und wenden sich nun gegen uns.“ Er nennt ein Beispiel aus der Legislative, das Anlaß zu heftigen Kontroversen in der Bundesrepublik gab, die nach Lays Definition (wie jeder andere Staat) „zu materieller Gewalt gewordenes kollektives Bewußtsein" repräsentiere: „Ein Staat, der sich selbst zum höchsten zu schützenden Rechtsgut macht, ist faschistisch. Die Frage, ob die Bundesrepublik auf dem Höhepunkt der Terroristenhysterie - ich denke zum Beispiel an das Kontaktsperregesetz - faschistisch oder zumindest faschistoid reagiert hat, ist berechtigt.“ Es war nicht recht auszumachen, ob die teilnehmenden Manager solche Folgerungen guthießen. Widerspruch regte sich jedenfalls nicht.

Sofern sie über eine Erwiderung nachsannen, wurden sie durch eine neuerliche Provokation aufgerüttelt. Denn Horst Mahler verkündete eine These, die mit seinem langjährigen Presseimage unvereinbar schien: Die Aneignung des Mehrwerts (also des Unterschieds zwischen Arbeitslohn und tatsächlicher Produktivität der Arbeitskraft) durch den Gesamtkapitalisten (das sind alle Besitzer von Produktionsmitteln) als „Ausbeutung“ zu bezeichnen, sei problematisch: „Der Begriff ist zu emotional besetzt und auch überholt. Als wir Apo-Leute den Arbeitern am Bahnhof Zoo erzählen wollten, daß sie ausgebeutet würden, haben die uns gar nicht verstanden.“

Anders verhalte es sich mit dem Begriff der Entfremdung, der für viele ein Reizwort sei, der aber beispielsweise das undurchsichtige Ausufern der Technik zutreffend charakterisiere. Staat, Gewerkschaft, Wirtschaft und Wissenschaft würden sich nicht um die Humanisierung der Arbeit bemühen, wenn Produkte und Produktionsbedingungen im Einklang mit den berechtigten Interessen der arbeitenden Menschen stünden.

Im Vertrauen auf den relativ stabilen sozialen Frieden die' Augen zu schließen und den sozialen Wandel einfach nicht zur Kenntnis nehmen zu wollen — so Lays und Mahlers Argumentationskette -, heißt deshalb für Manager, die eigene Position zu untergraben: Ohne eigene Aktivitäten würden sie zum Spielball stärkerer Kräfte wie der Gewerkschaften, der Arbeitgeber und der Legislative werden.

Mahler, voller Zuversicht in das selbstkritische Vermögen der Manager, zitiert Daimler-Benz-Vorstandsmitglied Edzard Reuter, der gegen das Übliche denkt und etablierte Positionen in Frage stellt. Auf dem 10. Internationalen Management-Symposium an der Hochschule St. Gallen warnte Reuter seine Kollegen vor der gefährlichen „Heuchelei. mit der wir unsere... vermehrten sozialen, ökonomischen und politischen Einbindungen zu verdrängen suchen. Gleichzeitig liegt für mich hier eine entscheidend wichtige Ursache unseres gestörten Selbstverständnisses“. Verstärkte Offensive gegen die Zwänge des Systems sei also von den Managern gefordert.

Nach Lay-Mahlerscher Interpretation - und damit stehen sie nicht allein - kann ein System nur überdauern, wenn es die geltenden Normen durch Zwänge aufrechterhält. Die Menge der zu beachtenden Normen steige aber mit der Komplexität des Systems. „Spätkapitalistische Systeme können sich sogar den Luxus erlauben, äußere Zwänge zu minimieren, weil ihre Mitglieder genügend Zwänge internalisiert haben“, meint Lay. Die Menge der inneren Zwänge, „sich ständig ritualisiert und institutionalisiert verhalten zu müssen, ist nicht mehr vergrößerbar, das System muß zusammenbrechen“, ist Lays Prognose unter der Voraussetzung, daß sich alles ohne übergreifende gesellschaftliche Ziele weiterentwickele wie bisher. Eine Zunahme der psychischen Erkrankungen, wachsende Unfähigkeit zu spontanem Verhalten sprächen für diese Entwicklung.

Manager in einem „transkapitalistischen“ System

Was Daimler-Vorstand Reuter zu ansatzweiser Systemkritik bewegt, ist nach Mahlers Worten ein deutliches Anzeichen dafür, daß der Kapitalismus dabeisei, sich zu überholen. Das „transkapitalistische System“, auf das wir uns immer schneller hin bewegten, behalte aber zweckmäßige Bestandteile wie den Markt bei. Für Lay und Mahler sind Manager die obersten Gestalter dieser neuen Gesellschaft. Voraussetzung sei, daß gerade die Wirtschaftsführer Konflikte als positiv kennenlernten, nicht in Abwehrhaltung verharrten, was eine „Realitätsablösung ihres Bewußtseins vom Sein“ bedeute. Eine Verständigung über „Transformationsziele der Gesellschaft“ tue not. Lay beruft sich unter anderem auf einen eher konservativen Papst, Paul VI., der verkündet habe: „Eine auf Egoismus aufbauende Gesellschaft ist für Christen nicht tolerabel.“

Mahler relativiert pragmatisch: „Norbert Elias hat in seinen Untersuchungen des Prozesses der Zivilisation nachgewiesen, daß Wettbewerbsver-halten konstitutiv für den Menschen ist. Es bedarf des Anreizes, Gewinn zu machen, was auch die Möglichkeit der Pleite einschließt. Und es bedarf der Effizienzkontrolle. Aber kompetitives Verhalten ist noch nicht identisch mit Egoismus.“ Der Jesuit äußert sich wiederum radikaler: „Das Streben nach individuellem Nutzen - gesamt bilanziert - kann zur Katastrophe führen.“

Doch die Referenten ließen ihre Zuhörer nicht mit der Vernichtung überkommener Werte allein. Zunächst Mahler: „Man ist heute auf dem richtigen Weg. Soziale Katastrophen durch Konkurse gibt es nicht mehr, der Manager braucht keinen sozialen Absturz zu befürchten. Infolge dieser Risikominderung steht nicht mehr allein das Gewinnstreben im Vordergrund, auch andere Motivationen bekommen ihre Chance.“ So werde, wie Lay fortführt, die Leistung als zentrale Kategorie im Sozialsystem „Unternehmen“ zunehmend fragwürdig. Lay faßt seine langjährigen Erfahrungen als kritischer Gesprächspartner von Managern zusammen: „Die Anerkennung, die man über Leistung bekommt, ist nicht befriedigend. Das sind doch arme Schweine, die sich immer nur abrackern, um Anerkennung zu erhaschen.“ Sie hätten es eben nicht anders gelernt. „Anerkennung muß Zuwendung heißen“, fordert Lay, für den Leben in urchristlichem Sinne lieben lernen heißt. „Lobe deinen Mitarbeiter wie dich selbst“, deutete ein Seminarist das ethische Gebot sogleich auf den Betrieb um.

Für die Umwertung der Werte sehen Lay und Mahler Chancen, weil sich das System bereits selbsttätig umgedeutet habe. Als Beleg erwähnen sie die Hauptversammlung der Aktiengesellschaft. Das Management, das seinen Aufsichtsrat selber aussucht und dazu noch festlegt, wie die Aktionärsversammlung abzulaufen hat, sei schon fast die Regel. Lay: „Hätten wir den Kleinaktionär Herrn Fiebich nicht, müßten wir ihn erfinden. Das ist doch der einzige Mann, der noch den Eindruck vermittelt, wir lebten in einem kapitalistischen Ordnungssystem.“

Die Kapitalseite, fährt Lay fort, habe ihre Macht weitgehend eingebüßt, Kapital sei anonym geworden und die Rolle der Manager als bloße Erfüllungsgehilfen der Kapitaleigner nicht mehr vertretbar. Obere Führungskräfte seien neben den Arbeitern und Organen der Öffentlichkeit (Gemeinden, Länder, Bund) zu einer dritten gesellschaftlichen Kraft erstarkt - ohne sich dessen allerdings wirklich bewußt zu sein. „Nur eine Assoziation der Disposition ist Partner der Gewerkschaften“, erklärt Lay, gemeint ist der Zusammenschluß der oberen Führungskräfte zu einer selbstbewußten, aktiven Gruppe. Das einzige Bollwerk gegen eine Umstürzung des Systems mit ungewissem Ausgang oder „gegen den drohenden Gewerkschaftsstaat“ sei das Management. „Um seine Arbeit funktionaler“ zu machen, empfiehlt Lay ein „sozialistisches VerwaltungsmodeH“, einen Aufsichtsrat, der zu je einem Drittel mit Delegierten der Arbeitnehmer, des Managements und der Öffentlichkeit besetzt ist.

Das Modell stieß bei den Zuhörern kaum auf Ablehnung. Denn Arbeitnehmervertreter sind gemeinhin akzeptiert, die Gewerkschaften als unverzichtbare Institutionen anerkannt. Der Staat wird eher als Garant einer gewollten kontinuierlichen Ordnung denn als drohende Obrigkeit empfunden. Und die Vorstellung, fortan „als Sauerteig in der Gesellschaft die Entwicklung voranzutreiben" (Mahler), behagte den Seminaristen sichtlich. Ulkte ein Bankvorstand: „Bisher waren wir bloß sauer."

Unwidersprochen blieb auch die dem Layschen „VerwaltungsmodeH" zugrunde gelegte These, die Bundesrepublik sei eine Gesellschaft mit kapitalistischem Überbau (Politik, Recht, Weltanschauung) und einer weitgehend sozialistischen Basis, das heißt einer ökonomischen Struktur, in der Klassengegensätze aufgehoben und das Eigentum an Produktionsmitteln, wenn schon nicht vergesellschaftet, so doch breit gestreut sei.

Ohne schon ein Begriffssystem dafür entwickelt zu haben, vertreten Lay und Mahler daher die Ansicht, wir lebten bereits in so etwas wie einer „transkapitalistischen“ Gesellschaft. Den neomarxistischen Begriff „Managerkapitalismus“ wollen sie nicht gelten lassen. Sie berufen sich dabei trickreich auf das Grundgesetz, das nicht explizit den Schutz einer kapitalistischen Marktwirtschaft vorsieht und auch andere Wirtschaftsverfassungen für möglich hält.

Vordringliche Aufgabe des Managements oder der von ihm aufzubauenden Interessenvertretungen sei die produktive Auseinandersetzung mit den Arbeitern - aber „nicht als Büttel des Kapitals“ (Mahler in einem Rückfall auf sein altes Vokabular), sondern „in ethischer Verantwortung“ (Lay), was „unter Umständen auch ein Handeln gegen Kapitalinteressen“ erforderlich mache.

Hinzuzufügen ist, daß Staat, Gewerkschaften und Management das Interesse verbindet, die gemeinsame ökonomische Grundlage zu erhalten. Lay und Mahler wenden sich jedoch gegen „die einseitige Dominanz der Kapitalinteressen“ und vertreten die Auffassung, daß eine wirtschaftlich so weit fortgeschrittene Gesellschaft wie unsere es sich leisten könne, mit dem „Menschen im Mittelpunkt“ ernst zu machen. Nach Mahlers Meinung leistet sich der Staat schon einiges: „Der öffentliche Dienst mit seiner Ineffizienz ist doch nur kaschierte Arbeitslosigkeit.“

Lay erläutert den postulierten Wertewandel, den das Management vorantreiben solle: Die Begründung von Rechtsansprüchen allein auf der Basis von entsprechenden Gegenleistungen reiche nicht mehr aus, „es gibt eine weitere Rechtsquelle: das menschliche Bedürfnis“. So seien Grundrechte in Wahrheit Bedürfnisrechte, die nicht aufgrund von Leistungen erworben werden. „Bei den Existenzbedürfnissen haben wir Befriedigung erreicht, die Sicherung der Existenz hat der Staat übernommen. Die Wirtschaft ist nun frei, die legitimen Entfaltungsbedürfnisse der Menschen zu befriedigen.“ Wenn erst alle Ökonomie in einer Hand sei, wie es in einem Gewerkschaftsstaat der Fall wäre (im gewerkschaftlichen Middle-Management der Bundesrepublik gebe es starke syndikalistische Bestrebungen), würden Interessen weder reflektiert noch diskutiert. Das Funktionärswesen würde sich selbst genügen.

Das leuchtete den Zuhörern sofort ein. Mit Lays und Mahlers ungewohntem gesellschaftstheoretischen Vokabular hatten sie mehr Mühe. Dennoch erschien Ihnen der Gedanke vom Management als dritter Kraft nicht abwegig zu sein, in der Tätigkeit von Führungskräften repräsentieren sich tatsächlich gesellschaftsgestaltende Werte. Schließlich hat sich bei den Geschäftsleitungen die Einsicht durchgesetzt, daß Unternehmen auch soziale Systeme sind und daß bei Managemententscheidungen die Mitverantwortung für das gesamte sozioökonomische System zu berücksichtigen ist. Verstöße gegen den Marktmechanismus wie Preisabsprachen oder Versuche, Umweltschutzregelungen zu unterlaufen, sind schon heute mit den Wertvorstellungen der meisten oberen Führungskräfte unvereinbar, ihre Bereitschaft, den Mitarbeitern größere Chancen zur Entfaltung einzuräumen, wächst.

Aber Management bleibt stets auch Disposition über knappe Ressourcen, Sachzwänge der Wirtschaftlichkeit relativieren die Lay-Mahlerschen Postulate. Diskussionswürdig bleibt jedoch zumindest die Forderung, auch Manager sollten ihre Interessen stärker als bisher organisieren: Um ihre gesellschaftliche Bedeutung geltend zu machen, hätten sie aktiv, selbstbewußt und durchaus nicht konfliktscheu vor die Öffentlichkeit zu treten. So appellierte ein Teilnehmer des Frankfurter Seminars: „Hören wir doch endlich auf, uns selbst zu beweinen. Packen wir’s an.“