Festreden

  

"Ich danke meinem Freund Leopold Springinsfeld für seine Ansprachen von Herzen. Jahrzehntelange Freundschaft verbindet uns; und ich denke voll Freude an die vielen Veranstaltungen, an denen wir gemeinsam teilnehmen durften. Ich danke Gott für die Freunde, die er mir schenkte."
Rupert Lay

 

Leopold Springinsfeld
17. Juni 1999

Festrede anläßlich der Feier des 70. Geburtstages von Pater Prof. Dr. Rupert Lay SJ in der HypoVereinsbank in Frankfurt am 17. Juni 1999

Meine sehr geehrten Damen und Herren.

Stellen Sie sich vor,

Sie hätten ein Leben lang ihre Gebete nur in Kapellen gebetet und sollen nun plötzlich in einer berühmten, altehrwürdigen Kathedrale von riesigen Ausmaßen beten. So etwa komme ich mir hier und jetzt vor beim Halten dieser Festrede. Sei’s drum, es war Ruperts Wunsch. Niemand allerdings möge – vielleicht irritiert durch meinen Vorschlag - hinter dem Bild der „Kathedrale“ diesen Tempel des Geldes hier vermuten. So war mein Vergleich nicht gemeint. Und damit endgültig und ausschließlich zu Dir, geliebter Rupert. 70 Jahre Rupert Lay. Ich werde weder über Deine 70 Jahre, noch über Dich, lieber Rupert, reden. Das erste stimmt nicht, und das zweite ist nicht möglich. Wer auch nur eines Deiner Aufbauseminare mitgemacht hat, wußte nach spätestens einem halben Tag, daß dieser Mann in T-shirt und kurzen Hosen den Siebzehnjährigen in ihm keineswegs ein für alle Mal hinter sich gelassen hat. Und zum Reden über..., zum Reden über einen Menschen und darüber, daß dies nicht möglich sein soll, darüber eine kleine Geschichte aus meinem ersten Aufbauseminar in Hurgharda am Roten Meer im März 1983. Gegen Ende des Seminars stellte uns Rupert folgende Aufgabe: Wir sollten jeder - selbstverständlich in Worten - ein Bild des anderen zeichnen. So leicht das für’s erste schien, das Ergebnis führte uns alle in bislang unentdecktes Gelände. Wir waren sechs. Hatten also pro Teilnehmer fünf Porträtskizzen zur Verfügung. Die Einigung auf für alle akzeptable Bilder von uns sechsen schien lediglich eine eher technische Frage des Zusammenführens aller unserer Beobachtungen zu sein. Weit gefehlt: Weder von Einigung noch von simpler Mischtechnik die geringste Spur. Stimmten doch die jeweils fünf Skizzen von uns sechsen weder im großen Ganzen noch im Detail überein. Ja es war, als hätten wir sechs Porträtisten jeweils völlig andere Menschen beschrieben, wiewohl wir doch fünfmal über ein und dieselbe Person zu reden vermeinten. Die Teilnehmer des Aufbauseminars von Hurgharda im März 1983 mußten entweder allesamt schwere Augenfehler haben, über höchst unzureichende Wahrnehmungsapparate verfügen oder alles in allem ebenso schlechte Beobachter wie unbegabte Beschreiber gewesen sein. Nichts von alledem war der Fall. Wir hatten lediglich die Wahrheit zweier Schlüsselsätze aus Ruperts großem „Buch der Weisheit“ gleichsam im Experiment an uns selbst erfahren: Erster Schlüsselsatz: „Alles, was erkannt wird, wird auf die Weise des Erkennenden erkannt.“ Oder, modern gesagt: “Welt entsteht im Kopf.“ Zweiter Schlüsselsatz: „Was Peter über Hans sagt, sagt mehr über Peter als über Hans.“ Beide Schlüsselsätze würden, wenn sie von mehr Menschen gekannt, verstanden und gelebt würden, die Qualität unseres Zusammenlebens radikal verändern, und zwar ausschließlich ins Positive - im kleinen wie im großen, in der Familie wie im öffentlichen Raum. „Denn wer tatsächlich begriffen hat, daß er der Konstrukteur seiner eigenen Wirklichkeit ist, dem steht das bequeme Ausweichen in Sachzwänge und in die Schuld der anderen nicht mehr offen." 70 Jahre Rupert Lay. Wenn ich aber weder über die 70 Jahre noch über Rupert Lay reden will, worüber um Gottes Willen will ich dann reden? Noch dazu auf einer Veranstaltung, welche ausdrücklich diesen beiden Themen gewidmet ist. Lassen Sie mich meinen Redefaden anknüpfen an jenem Gabentisch, der sich bei dieser Feier, wie bei allen Feiern dieser Art so auch hier aufgebaut hat. Lieber und geliebter Rupert, wir mögen Dich noch so sehr mit Geschenken überhäufen, im Vergleich zur Fülle, an der Du jeden Deiner Schüler von der ersten Begegnung an teilhaben läßt, vermögen wir nur Wasser in Brunnen zu schütten. Sosehr jedes einzelne Geschenk in Liebe erdacht und gewählt worden ist. Jahr für Jahr hast Du uns an unseren „Nichtgeburtstagen“ an übervolle Tafeln geladen und mit Geschenken überhäuft. Da ist es nur recht und billig, wenn wir Dir zur Feier Deines siebzigsten Geburtstages dafür emphatischer danken als sonst. Dein erstes Geschenk, geliebter Rupert, erinnere ich noch ganz genau. Du hast es mir am 12. Dezember 1981 als Widmungssatz in ein Exemplar Deines Buches „Die Ketzer“ geschrieben: „Those who love us let us find our own way.“ Seit einigen Jahren weiß ich, daß Du damals in diesen wenigen Worten das komplette Programm Deiner Lebensschule entfaltet hast, nämlich: Durch Welt und Leben kommst du nur auf dem Weg hindurch durch dich selbst. Für diesen Teil Deiner Lebenslehre könnte Franz Kafkas unvergleichliche Parabel „Vor dem Gesetz“ als dichterisches Symbol stehen. Ein „Mann vom Lande“ ist auf dem Weg zum Gesetz. Aber schon der erste Türhüter läßt ihn nicht eintreten und weist ihn immer wieder ab. So wartet er Tage und Jahre. Als es ans Sterben geht, will er vom Türhüter wissen, wo denn die andern Menschen seien, die doch auch zum Gesetz streben müßten. Das Gesetz sei für alle da, doch niemand außer ihm habe Einlaß begehrt. Da eröffnet ihm der Türhüter: Dieser Eingang war nur für dich bestimmt, und jetzt schließe ich ihn. Die Welt Franz Kafkas ist eine Welt ohne Liebe. Vielleicht deshalb läßt die Erzählung den „Mann vom Lande“ schon am ersten Türhüter scheitern. Du hingegen hast mir und uns für unseren Weg zum Gesetz die Begleitung Deiner Liebe versprochen. Dadurch hast Du zumindest eines erreicht: Wir haben uns vom ersten Türhüter nicht aufhalten lassen. Denn das Programm Deiner Lebensschule verpflichtet in gleicher Weise Dich als Lehrer wie uns als Schüler. Ist es doch ein Programm, an dessen Umsetzung zu arbeiten, und zwar gemeinsam zu arbeiten, wir nicht aufhören können, wenn wir nicht Jahre hinter uns löschen oder Jahre vor uns unter ihren Möglichkeiten leben wollen. Habe Dank für dieses Programm. Du hast uns beigebracht, daß Aufmerksamkeit unsere wichtigste und wertvollste Ressource ist, und daß wir sie deshalb nicht streng genug bewirtschaften können... ...nicht streng genug bewirtschaften können hinsichtlich Schärfung und Einsatz. Höchste Aufmerksamkeit für alles was Leben heißt. Für das eigene wie das fremde. Höchste Aufmerksamkeit für die Feste der Sinne, aber auch für den Alltag der Sinne. Höchste Aufmerksamkeit für den anderen. Höchste Aufmerksamkeit für das Dazwischen zwischen dir und dem anderen und dessen bestmögliche Formung und Entfaltung. Dein berühmtes Biophilie-Prinzip. Wenigstens einmal muß das Wort auch hier fallen. Höchste Aufmerksamkeit für alles Lebensfeindliche, um es entweder rechtzeitig zu umgehen oder wirkungsvoll zu bekämpfen. Höchste Aufmerksamkeit für alles, was Leben zu mehren imstande ist – das eigene wie das fremde. Literatur, Kunst, Kultur, Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Philosophie, Religion, Lebenstechnik, Lebensweisheit und das Nachdenken darüber. Nimm unseren Dank, geliebter Rupert, dafür, daß Du unsere Aufmerksamkeit ebenso geduldig wie hartnäckig auf unsere Aufmerksamkeit als unsere wichtigste und wertvollste Ressource gelenkt hast. Allerdings: unsere Aufmerksamkeit macht auch Pausen. Dann wissen wir so wenig, als wären wir erst einen Tag auf der Welt. Deine spitze Formel dafür, so sehr sie zum Zitat drängt, darf ich hier unterdrücken, weil sie jeder Deiner Schüler ohnehin im Ohr hat: einmal gehört, nie mehr vergessen. Du haßt uns beigebracht, daß das „Prinzip der unterscheidenden Deutlichkeit“, wie Carl Friedrich von Weizsäcker die Kunst der Unterscheidung einmal nannte, wohl das wichtigste und wertvollste aller Werkzeuge ist, um die wichtigste und wertvollste unserer Ressourcen – eben Aufmerksamkeit - zu schärfen und ihren Einsatz bestmöglich zu bewirtschaften. Mittlerweile verfügen wir über einen reichhaltig ausgestatteten Werkzeugkasten, um dieses Prinzip auch umsetzen zu können. Eines dieser Werkzeuge möchte ich besonders hervorheben. Ich meine Deine Sprache. Die Sprache Deiner Rede. Die Sprache Deiner Bücher. Die Sprache Deiner Vorträge, Deiner Seminare, Deiner Predigten, Deine Sprache im Gespräch. Manches Wort dieser Deiner Sprache wird vielleicht einmal im Duden stehen. Habe Dank für beides: für das „Prinzip der unterscheidenden Deutlichkeit“ und für die Werkzeuge dazu, insbesondere für Deine Sprache. Natürlich schneidet auch mir der Riemen dieses Werkzeugkastens tief in die Schulter. Doppelt schwer: Denn nur zu oft bleiben die Instrumente im Kasten und im Außen geschieht nichts. Denn nur zu oft ist unsere Kraft, das bei Dir Gelernte umzusetzen, ebenso schwach wie Empfänglichkeit und Reizleitungsfähigkeit unserer Gesprächspartner in den Unternehmen schwach sind. Welt ist Widerstand. Sie wäre sonst weder erfahrbar, noch begreifbar, noch veränderbar. Dank für „übervolle Tafeln und Gabentische“ an unseren „Nichtgeburtstagen“: Selbstverständlich vermag ich diesen mir selbst erteilten Auftrag hier und jetzt entweder nur am Beispiel oder nur aus der Vogelschau zu erfüllen. Angesichts dieses ohnehin gegebenen Handikaps wage ich jetzt einen Wechsel der Perspektive von der personalen Position des Schülers in die systemische der Institution. Denn nicht nur wir haben Dir zu danken, zu danken hätten Dir auch die Institutionen. Ich sehe diesen Dank allerdings weit und breit nicht. Ausgenommen vielleicht das zweitätige Symposium über Dein wissenschaftliches Lebenswerk Anfang Juli, anläßlich Deines 70. Geburtstages, gemeinsame Veranstaltung der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt und des Ronneburger Kreises. So sollte die Wirtschaft zumindest der deutschsprachigen Länder Dir danken. Trägst Du doch dazu bei, zahlreiche ihrer Unternehmen gleich zweifach besser zu stellen: zum einen ökonomisch und zum anderen ethisch; ökonomisch, insofern Unternehmen durch Deine Arbeit überlebenstüchtiger und wettbewerbsfitter werden; ethisch, insofern durch Deine Arbeit personales und soziales Leben in diesen Unternehmen lebenswerter wird. Und das seit nunmehr fast dreißig Jahren und obendrein zu einem Spottgeld. Du bist nämlich der einzige Vor- und Meisterdenker weit und breit, welcher drei Jahrzehnte lang in Seminaren, Gesprächen, Vorträgen, Aufsätzen und Büchern an einer der wichtigsten Ressourcen dieser Unternehmen arbeitet, nämlich Unternehmenskultur. Ja man kann es noch radikaler sagen: Firmenkultur ist nicht nur eine der wichtigsten Ressourcen eines Unternehmens, sie ist gleichzeitig auch die weithin unbekannteste. So sehr man solches kaum glauben will. Und die Kultusminister aller deutschsprachigen Länder hätten Dir zu danken, praktiziert Du doch in eben denselben runden dreißig Jahren das Modell eines Ausbildungssystems, welches an Effizienz und Effektivität, funktional und personal, schlichtweg nicht zu übertreffen ist, und welches mit Sicherheit die Schulinnovation Internet überleben wird. Und die Gemeinwesen der deutschsprachigen Länder, vertreten etwa durch die Medien, hätten Dir zu danken, hast Du doch durch Deine Beiträge zum öffentlichen Gespräch das Niveau des Vor- und Nachdenkens über Wirtschaft, Gesellschaft und Politik dramatisch erhöht. Nie enthielten diese Deine Beiträge - wie sonst die Regel – ausschließlich Beschreibendes oder ausschließlich negativ Kritisches, sondern immer auch positive Lösungsalternativen. Wer etwa dein Buch „Die Macht der Unmoral“ gelesen hat, kennt eine Fülle von Beispielen für beides: Kritik und Lösung. Und damit wechsle ich wieder von der systemisch-institutionellen Perspektive in die personale, ja mehr noch: in die ganz persönliche. „Variatio delctat“ habe ich unlängst wieder an den herrlichen Fassaden der Paläste in Florenz erlebt. Bis zu meinem ersten Aufbauseminar im Jahre 1983 habe ich Lebensfreundschaften, gut durch Erfahrung gesichert, ausschließlich in Kindheit und Jugend wurzeln gesehen. Heute weiß ich, daß solche Beziehungen auch zwischen erwachsenen Menschen in der Zeitraumwinzigkeit eines Deiner Aufbauseminar gründen können. Und dafür sei Dir, geliebter Rupert, wiederum Dank. Das wichtigste Kennzeichen von Lebensfreundschaften scheint ihr schier unerschöpflicher Vorrat an Vertrauen zu sein. Vertrauen wollen wir verstehen als totale Offenheit der sich begegnenden Seelen. Was sonst nur Kindheit und Jugend zu Wege bringen, schaffst Du, geliebter Rupert, in Deinen Aufbauseminaren: nämlich das Ineinanderfließen der Seelen. Dafür ist Dank wohl das geringste. Bewunderung kaum angemessen. Denn wenn man diesen Fließzustand zwischen zwei Seelen einmal hergestellt hat, dann gelingt er offenbar immer wieder, und zwar wie im Lichtschalter auf Knopfdruck: zwischen Jugendfreunden genau so wie zwischen Freuden aus Deinen Seminaren. „Pforte bin ich, der ich Mauer war.“ heißt es in einem schönen Vers von Werner Bergengruen. Im übrigen habe ich das einzigartige Glück, hier in diesem Raum über Lebensfreunde aus meiner Jugend wie aus Deinen Seminaren zu verfügen. Beim St. Petersburger Kulturanthropologen Moissej Kagan habe ich unlängst gelesen: „...daß – bei allem Edelmut, dem geistigen Ideenreichtum und dem moralischen Pathos der besten Erscheinungen der Religion - die Menschheit am Ende des 20. Jahrhunderts nicht zu jener Art der Weltwahrnehmung und der Organisation zwischenmenschlicher Beziehungen zurückkehren kann, die im Altertum entstanden sind, wie groß unsere Sehnsucht nach der Vergangenheit auch sein mag.“ Kagan, lieber Rupert, kennt Deine Predigten nicht. Würde er Deine Predigten kennen, würde er sehen lernen, daß insbesondere christlicher Glaube nicht bloß Wissen, sondern auch Leben ist, und daß uns die Evangelien in Welt und Leben zu orientieren vermögen wie kaum ein anderer Text, und zwar ganz konkret, in ganz konkreter lebensweltlicher Situation hier und heute. Deine Predigten in der Messe am Sonntag nach einer Seminarwoche waren mir immer kleine kostbare Morgengaben. Wahre Kleinode nicht nur der Weisheit, sondern auch der Frömmigkeit. Habe Dank auch dafür. Natürlich bietet Moissej Kagan, um noch einmal beim ihm direkt anzuknüpfen, eine Begründung für seinen negativen Imperativ, nämlich: Die Entwicklung von Gesellschaft sei wie jene der Persönlichkeit nicht umkehrbar. Damit hat er natürlich recht, aber Geschichte ist - da wie dort - nicht bloß Hinkunft, Geschichte ist auch und vor allem Herkunft. Und lernen können wir – trivial genug – nur aus der Vergangenheit. Um einmal nicht die Wirkmächtigkeit von Geschichte in Zeit und Gegenwart an Hand der Kriege in Irland und am Balkan zu erklären: Wir haben etwa einen Literaturunterricht an unseren abendländischen Schulen, nicht nur Europas – versteht sich, ausschließlich deshalb, weil die Griechen im 6. Jahrhundert vor Christus beschlossen haben, die Epen des Homer, also zwei Werke der Literatur, als Schulbücher zu verwenden, und weil diese Praxis bis heute immer wieder tradiert worden ist. Alles Zufall und nicht Notwendigkeit. Es hätte nämlich auch ganz anders kommen können. So etwa im Judentum; dort ist ein Buch der Geschichte und der Gesetze Isreals Schulbuch, nämlich der Talmud. Als Abschluß dieses mit Kagan begonnenen Gedankenzuges, in den ich vielleicht zu viel hineingestopft habe, eine Gegenposition zu Kagan in Gestalt dreier Gedanken des austro-amerikanischen Geschichtsphilosophen Eric Voegelin (1901 bis 1985): Menschliche Rationalität gründe in der Teilhabe an göttlicher Ratio. Griechische Philosophie und Christentum bildeten die Höchststufe bisher erreichter Differenzierung menschlicher Erfahrung in Zeit und Geschichte. Es sei rational, Griechentum und Christentum als Fundamente menschlichen Denkens und Handels anzuerkennen und irrational, es nicht zu tun. Soweit Eric Voegelin. Warum übrigens zitiere ich immer wieder Texte und Gedanken Dritter in einer Rede zu Rupert Lay, wo es doch von diesem bei Gott genug jeweils Einschlägiges zu zitieren gäbe? Ich habe dafür einen einzigen Grund. Nach einem schönen Wort von Novalis ist ein Gedanke nichts, wenn ihn nicht mehrere teilen. Genau diesen Gedanken wollte ich hier unterstützen. So dürfen wir, geliebter Rupert, geführt von Deinem Wort, uns immer wieder bisher unbekanntes Gelände erschließen oder auf bisher nicht gegangenen Wegen - meist unerwartet und überraschend - zu Dir zurück kehren. Es scheint aber einen Königsweg zu geben, den Du in erster Linie uns weisen willst und von dem Du zutiefst möchtest, daß wir diesen Weg vor allen anderen Wegen gehen – nämlich: „Ihr sollt das Leben haben in Fülle.“ Von dieser Fülle wollte ich Dir etwas zurückgeben. Als ob das möglich wäre. Kindisch wie ich bin. Wenn ich also nicht in die Falle des „Plus ça change, plus c’est la même chose “, in die Falle vom „Mehr desselben“ tappen will, sollte ich jetzt bald zu einem Ende kommen. Es wird mehr als sonst ein willkürliches, ein zufälliges, ein kontingentes Ende sein. Denn wie teilt, wie portioniert man Fülle? Und nicht nur: Wie teilt man Fülle? Sondern auch: Wie teilt man Fülle mit? Tendiert doch Fülle ihrem innersten Wortsinn nach stets über sich selbst hinaus. Was an sich paradox ist. Ich tappe also schon wieder in eine neue Falle. Da aber ein Schluß, der kein Schluß ist, kein Schluß ist, muß ich mir einen Schluß suchen, der ein Schluß ist. Deshalb noch einmal Zuflucht beim Dichter. Diesmal Hölderlin. Die Schlußstrophe des Gedichts „Eigentum“. „Eigentum“ meint aber bei Hölderlin nicht bloß „Besitz“, sondern bezeichnet all das, was einem Menschen zu eigen ist. Schöner als mit Hölderlin kann man wohl nur singend wünschen: „Ihr segnet gütig über den Sterblichen, Ihr Himmelskräfte! Jedem sein Eigentum, O segnet seines auch, und daß zu Frühe die Parze den Traum nicht ende.“ Dir, lieber Rupert, und Ihnen allen vielen Dank.

 

Leopold Springinsfeld 7. Juni 2004 Festrede anlässlich der Feier des 75. Geburtstages von Pater Prof. Dr. Rupert Lay SJ im Holzhausenschlösschen in Frankfurt am 14. Juni 2004 Lieber und geliebter Rupert! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Freunde! „Nimm deine Geige, Frau Vergangenheit.“ Diese Verszeile des österreichischen Dichters Anton Wildgans habe ich Dir, lieber Rupert, als Motto für diese Rede zugedacht. Ich habe diese Zeile aber auch deshalb gewählt, weil darin wenigsten EIN Musikinstrument vorkommt. Denn eine Laudatio auf Dich gehörte aus vielen Gründen, von denen ich im Folgenden nur ein paar werde nennen können, von Geigen gespielt und von Chören gesungen. Da ich aber hier solo bin und obendrein auch noch unmusikalisch, musst Du Dich auch diesmal wieder mit meinen dürren Worten begnügen. „Nimm deine Geige, Frau Vergangenheit.“ Schon vor fünf Jahren stand ich vor der Frage: Wie preist man würdig und angemessen Dein Leben, Dein Werk, Dein Lebenswerk? Mir ist auch für heute keine bessere Antwort eingefallen als damals. Heute allerdings lasse ich diese Antwort singen von einem vierstimmigen Chor und begleiten von Orgel, Bläsern und Pauken und musizieren nach den Noten Franz Schuberts für das Offertorium seiner Deutschen Messe: „Nur danken kann ich – mehr doch nicht.“ Es wird in diesem Raum niemanden überraschen, dass man das Lebenswerk des Dialektikers Rupert Lay auch dialektisch zu rekonstruieren versuchen kann. Genau diesen Versuch möchte ich im Folgenden unternehmen. Selbstverständlich kann das nur beispielhaft geschehen. Und jeder wird verstehen, dass in weiteren 25 Minuten nur vier Beispiele Platz finden können. Ich habe für meinen Versuch die Dialektik zwischen dem EINEN und dem VIELEN gewählt und umgekehrt: zwischen dem VIELEN und dem EINEN. Natürlich nicht im altehrwürdig-metaphysischen Sinne, sondern im Sinne der Lebens- und Praxisphilosophie des Rupert Lay. Mein erstes Beispiel entnehme ich einem Deiner für mich schönsten Seminare: Fuerteventura, Robinson Club Jandia Playa, Seminarraum, letzte Märzwoche des Jahres 2001, Jahresthema: „Die Transzendenz der menschlichen Person“. Das VIELE, die Vielheit dessen, was Menschen in Welt, von Welt und über Welt wahrnehmen, empfinden, fühlen, denken, meinen, glauben..... und dies – um zu kommunizieren – in Sprachzeichen und andere übersetzen, findet – physikalisch gesehen – in zwei verschiedenen Welten statt: in virtueller Welt und in realer Welt. Die virtuelle Welt ist die Welt der Konstrukte, die reale Welt ist die Welt der Zeichen und Signale. Zur virtuellen Welt könnte man auch Welt des Bewusstseins sagen und zur realen Welt auch wirkliche Welt; wirkliche Welt deshalb, weil sie wirkt. Bewusstsein wirkt nämlich auf Bewusstsein nur vermittels Zeichen. Virtuelle Welt und reale Welt, die Welt des Bewusstseins und die Welt der Zeichen sind durch ein Einziges dialektisch miteinander verbunden und dieses Einzige ist das EINE des Handelns. Dieses erstes Beispiel meiner Darbietungsidee mag etwas sperrig ausgefallen sein. Ich gebe das gerne zu. Vielleicht aber vermag ich Sie durch folgende zwei Begründungen zu entschädigen. Ich habe dieses Beispiel – erste Begründung – gewählt, weil es Ruperts Wissenschaftsphilosophie, wenn auch nur als Abdruck einer Fingerkuppe, in dieser Rede zu vertreten vermag. Und ich habe dieses Beispiel ganz bewusst deshalb an die erste Stelle gesetzt, weil es zeigt – zweite Begründung –, dass Rupert eines der Herzstücke seines Lebenswerkes, nämlich seine Handlungsethik, auch und sogar aus seiner Wissenschaftsphilosophie herzuleiten vermag. Immerhin scheint Handeln das Alpha- und Omega-WORT seines Lebenswerkes zu sein. Biophiliepost. So wie das Biophiliepostulat der Alpha- und Omega-SATZ seines Lebenswerkes sein könnte. „Handle und entscheide dich stets so, dass die Regeln, nach denen du handelst oder dich entscheidest, dir in der Mehrzahl ihrer Anwendungsfälle helfen, eigenes und fremdes personales Leben eher zu mehren denn zu mindern.“ Als weitere wenigstens kurzfristige Entlastung von allzu viel sperrig Abstraktem darf ich das zweite Beispiel durch eine kurze historische Erzählung einleiten. Um die Mitte des 16. Jahrhunderts legte Ignatius von Loyola allgemeine Kriterien für die Tätigkeit seiner Ordensbrüder fest. Für die Auswahl von deren Wirkungsstätten sollten besondere Regeln gelten, darunter diese: bei ansonsten ähnlichen Bedingungen seien die Orte zu bevorzugen, an denen die Not am größten sei. Nun, Rupert wählte für sich die Managementetagen – wenn er nicht gerade als Schiffskaplan am Atlantik, als Bewährungshelfer, als Pfarrer im Altenheim oder bei den Clochards unter den Main-Brücken Frankfurts unterwegs war. Warum sollten ausgerechnet die Büros der Manager von heute jene Orte sein, an denen die Not am größten ist? Kaum jemand wird auf diese Idee verfallen, wenn er sein Managerbild aus der Skandalpresse der letzten Jahre bezogen hat und sich bis heute dort seine Bestätigungen holt. Jemand allerdings, der sein Bild vom Manager dicht an Realität gewonnen hat, wird durchaus der Wahl Ruperts nach Maßgabe des Gründers seines Ordens zu folgen vermögen. Eine weitere Bestätigung dafür ergibt sich auch dann, wenn wir unser zweites Beispiel nach dem Strukturmuster der Dialektik zwischen dem VIELEN und dem EINEN abhandeln. Das VIELE könnten wir hier hinter der Ideologie des Ökonomismus vermuten. „Zweifellos bestimmt die wirtschaftliche Rationalität über alle Maßen den Zusammenhang zwischen Denken und Handeln in unserer Welt“ und das in nahezu allen Lebenswelten, in den privaten genau so wie in den öffentlichen. Am Ökonomismus sind wir alle beteiligt, nicht nur die Manager. Allerdings gibt es zwischen dem Manager und uns privaten Ökonomisten, einen bedeutsamen Unterschied: Wir Zivilisten des Ökonomismus mindern nämlich in erster Linie „nur“ unser eigenes Leben. Der Manager hingegen ist als Führungskraft vieler Menschen potentiell in der Lage, das Leben vieler Menschen zu mindern. Die Büros der Manager sind also nicht nur der Manager wegen, sondern auch, ja vor allem wegen der von ihnen Geführten Orte der Not mitten in unseren sogenannten entwickelten Gesellschaften. Manager und Unternehmer heißen in der Einzahl wie in der Mehrzahl Manager und Unternehmer. Und Rupert meint – so sehe ich – Manager und Unternehmer immer in der Einzahl. Rupert meint immer den EINEN Manager, den EINEN Unternehmer. Was konnte dieser EINE Manager, was konnte dieser EINE Unternehmer konkret bei Dir lernen? Im Seminar? Aus dem Buch? In Sachen Ethik konnte unser Manager bei Dir lernen, dass Ethik nur vermittels Regeln Handlungen anzuleiten vermag. In Sachen Dialektik konnte unser Manager bei Dir lernen, dass Sprache im weitesten Wortsinn eines der wichtigsten Fermente des Humanen ist. Deshalb hast Du ihm allem voraus Diskursdialektik beigebracht. In Gestalt der Problemlösungsdialektik konnte unser Manager bei Dir ein Instrument zum Probleme lösen und zum Entscheiden kennen und anwenden lernen, auf das folgende, sonst unvereinbar scheinende Eigenschaften zutreffen, und zwar in gleicher Weise und mit demselben Gewicht: wirksam wie kein anderes, wirkungsvoll wie kein anderes, wirtschaftlich wie kein anderes, menschlich wie kein anderes. Es ist eine Großignoranz unseres Bildungssystems, dass Dialektik noch immer nicht Pflichtfach in unseren Schulen ist. Oder sollte das in Ihrem Lande anders sein? In Sachen Philosophie konnte unser Manager bei Dir den Sinn seiner Arbeit für sich selbst und den Sinn der Tätigkeit seines Unternehmens für die Gesellschaft sehen, entfalten und vor allem mitteilen lernen. Ökonomisch konnte er bei Dir lernen, dass es selbst ökonomisch irrational ist, ökonomische Rationalität ausschließlich ökonomisch realisieren zu wollen. Lassen Sie mich dieses zweite Beispiel so abschließen wie ich es begonnen habe – mit einer historischen Reminiszenz: Rupert heute kommt mir so vor wie jener Pater Alfonso, der um die Mitte des 16. Jahrhunderts die Indianer am Amazonas missionieren sollte. Als er feststellte, das diese gläubiger waren als er selber, konzentrierte er sich – im Übrigen mit dem Segen des Ignatius – auf den Aufbau des Außenhandels mit den Spaniern und Portugiesen. Rupert sitzt heute in Aufsichtsräten. Und damit zum dritten Beispiel. Einheit und Gegensatz des EINEN und des VIELEN verbergen sich kaum verhüllt auch hinter so aktuellen Begriffen wie Komplexitätssteigerung, Multioptionalität und Globalisierung unserer Welt und deren Widerspiegelung in unseren personalen Köpfen und in unseren personalen Handlungen. Keine Sorge, ich werde Sie nicht mit Redundanzen quälen. Das würde Dir, geliebter Rupert, auch kaum gerecht werden. Denn von den vielen Merkmalen Deines Lebens und Deines Werkes ist gewiss die Vorzeitigkeit deines Denkens an vorderer Stelle zu nennen. Ich gebe dafür nur ein Beispiel: Am 5. April dieses Jahres hieß die Schlagzeile auf der Titelseite des Spiegel: „Das Milliarden-Geständnis – warum der Aufbau Ost scheitern musste.“ Rupert-Leser erinnerten sich angesichts dieses Spiegel-Titels an eine detailreiche Fallstudie, in welcher Rupert schon 1993 die >Wiedervereinigung<“ – „Wiedervereinigung“ ausdrücklich unter Anführungszeichen – profund als missglückt analysiert hatte. Nachzulesen im Buch „Die Macht der Unmoral“. Wiewohl ich den Faden schon vor einiger Zeit fallen gelassen habe – keine Sorge: ich weiß genau wo – eine zweite eingeschobene Bemerkung – diesmal zum politischen Rupert. Ich habe dazu unlängst einen wunderbar passenden Gedanken beim Schweizer Theologen Karl Barth gefunden: Es gibt einen „organischen Zusammenhang“ zwischen „der Zeitung und dem N(euen) T(estament)“. „Denn Gottes Wort sind die biblischen Texte nur deshalb und nur insofern, als sie Menschen in ihrer Gegenwart anreden und diese Gegenwart neu qualifizieren.“ Ruperts gesamtes Leben, das gesprochene wie das geschriebene, das gehandelte ohnehin, sind ein einziger gelebter Beweis für die Stimmigkeit dieser These. Und damit zurück zum Anfang dieses dritten Beispiels: Zu Einheit und Gegensatz des EINEN und des VIELEN hinter so aktuellen Begriffen wie Komplexitätssteigerung, Multioptionalität und Globalisierung unserer Welt und deren Widerspiegelung in unseren personalen Köpfen und in unseren personalen Handlungen. Ruperts folgt Rupert konstruiert das Bild einer immer komplexer werdenden Welt, unter anderem nach den Vorstellungen des Pierre Teilhard de Chardin und des Friedrich August von Hayek. Beide verlängern die Geschichte der Schöpfung über den Menschen hinaus. Die Schöpfung ist mit dem Menschen nicht zu Ende. Bei so viel Ernst, kann eine Prise Spaß nicht schaden. Deshalb zwischendurch die bekannt Frage: Kennen Sie den? Treffen einander zwei Planeten. Fragt der Eine: Wie geht es Dir? Klagt der andere: Jammer, Jammer, ich leide an homo sapiens. Tröstet der Erste: Keine Sorge, das geht vorüber. Bei aller Verschiedenheit ist den Theorien des Teilhard de Chardin und des Herrn von Hayek gemeinsam, dass sie von Rationalitäten handeln, die jene des Menschen bei weitem übersteigen. Rupert gibt auf die hier lediglich angedeuteten realen Entwicklungen vor oder hinter den beiden Theorien wenigstens drei Klassen von Antworten: personale, systemische und globale, wenn ich hier so unterscheiden darf. Dem EINEN, wie den ZWEIEN, wie den DREIEN empfiehlt er: radikalisiert das Gute Eures Menschseins. Als Zweites rät er: Nützt dazu die Weisheitsbücher der Menschheitsgeschichte. Goethe würde diese Empfehlung Ruperts sogar zweifach unterstützen: „Alles Gescheite ist (zwar) schon gedacht worden, man muss nur versuchen, es noch einmal zu denken.“ Als Drittes empfiehlt Rupert: Erkennt euch selbst immer besser, indem ihr euch im anderen immer besser erkennt. Die höchste aber aller Deiner Mahnungen und Empfehlungen ist diese: „Nur wer handelt, steht in Gottes Hand.“ Also handelt. Aber handelt stets eher lebensmehrend denn lebensmindernd. Angesichts der politischen, der ökonomischen, der administrativen, auch der klerikalen Systeme mahnst Du wieder und immer wieder: Es genügt nicht, dass ihr euer Bewusstsein ändert, es genügt auch nicht, dass ihr euer Handeln ändert, ihr müsst die Systeme selber ändern, auf dass diese menschlicher und menschengerechter werden. Denn Systeme haben weder Hirn noch Herz, noch Bewusstsein, noch Moral und Ethik schon gar nicht. Dem dritten Problemhorizont, dem der eigentlichen Globalisierung unserer Welt setzt Rupert ein ganzes Lösungsprogramm entgegen, das einer Umsetzung durch ein „Erdensekretariat“ wert wäre, wie es Robert Musil in seinem großen Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“ zwischen den zwei Weltkriegen entworfen hat. Heute würde ein solches Sekretariat wohl nicht Erdensekretariat, sondern UN-Sekretariat heißen. Von all dem, was Rupert so aus der Zukunft schon in der Gegenwart skizziert, nur das Revolutionärste: Als Erstes: „Die Rolle der Alterozentrierung, das heißt das Mitbedenken fremder Werteinstellungen, Erwartungen Interessen und Bedürfnisse, wird zunehmen unter dem Einfluss vergleichbaren Sachwissens und Erfahrungswissens.“ Als Zweites: „Unter dem Einfluss transsystemischer Rationalität werden neue ökonomische, politische, soziale und kulturelle System entstehen.“ Zur Umsetzung gerade dieser letzten Perspektive hat erst jüngst der Zürcher Ökonom Bruno Frey zwei erste Ideen vorgelegt: Die Menschen sollten selbst auswählen können, welchen Organisationen sie als Bürger und Bürgerinnen angehören wollen. Das staatliche Angebot dürfe sich nicht nach mehr oder weniger willkürlich gezogenen politischen Grenzen richten, sondern müsse sich an der „Geographie der Probleme“ orientieren. Sagte schon Novalis: „Ein Gedanke ist nichts, wenn ihn nicht mehrere teilen.“ Weiter mit Ruperts Ideen: Entwicklungen in Richtung einer weltweiten Ökokratie zum Schutz unserer Umwelt bis hin zum Weltstaat – durchaus nach den Vorstellungen Immanuel Kants in seiner Schrift „Zum ewigen Frieden“ – seien wahrscheinlich. Ein neues Bewusstsein von Welt, ein neues Weltbewusstein solle vorangetrieben und mitgestaltet werden durch besonders akzeptierte Massenmedien, vermittels neuer Geschichten zur Geschichte, vermittels Feste und Symbole, durch eine vor allem inhaltliche Universalisierung der Menschenrechte, und durch eine Rücknahme nationalen Denkens auf eine Art folkloristischer Ernsthaftigkeit. Schon jeder einzelne dieser Gedanken enthält eine Revolution des Revolutionären, Revolutionen je mit Hochzahl gewissermaßen. Ihre Summe zeichnet sich erst recht dadurch aus. Der wahre Gipfel des Revolutionären aber dürfte aus dem Folgendem erwachsen: Rupert skizziert uns für die Zukunft – gegen Huntingtons „Kampf der Kulturen“ und trotz Terrorismus heute – eine gute und keine böse Welt, Rupert skizziert uns eine Welt der Hoffnung und keine Welt der Katastrophe. Alle Hoffnung sagt: es wird ein gutes Ende nehmen. Warum auch sollte das Ende, hier als Synonym für Zukunft gebraucht, schlecht ausgehen, wo doch schon der Anfang gut war und das Dazwischen zwischen Anfang und Ende ebenfalls. Immerhin haben so große Geister wie Leibniz und Popper – um nur zwei Namen zu nennen – sich zu dem Satz bekannt: Wir leben in der besten aller Welten. Zum Bösen, das wir ja aus Zeit und Geschichte nicht wegretuschieren können, nur ein einziges Wort, und das wieder vom Theologen Karl Barth: Das Böse ist das „Alte“, das Alte im Sinne des Vorchristlichen, „das Nichtige“, „das Gott nicht will.“ Mein viertes und letztes Beispiel der Dialektik des EINEN und der VIELEN möchte ich bei Dir, lieber Rupert, einsetzen und bei Deinen Schülern enden lassen. Als Stoff dieser Dialektik denke ich mir die Entfaltung und Weitervermittlung Deiner Lehre. Allen voran lebst und überlebst Du in Deinem geliebten Sohne Rupert. Dann lebst und überlebst Du in Deinen Schülern, die Deine Lehre lehrend wie Du weitertragen. Seien diese nun Solisten oder Organisationen wie die Fairness-Stiftung – unser Gastgeber – der Ronneburger Kreis und der Ethikverband der deutschen Wirtschaft. Und schließlich lebst und überlebst Du in den Köpfen, Herzen und Handlungen jener Deiner Schüler, die Deine Lehren in ihrem Leben praktisch zu machen versuchen. Das Schwergewicht an Bedeutung Deines Lebens und Deines Überlebens nicht nur für die geistige, sondern für die umfassend kulturelle Situation unserer Zeit möchte ich – ehe ich zum Ende komme – mit Hilfe eines nicht minder schwergewichtigen Zitats noch einmal ins volle Licht zu rücken trachten. Kein Geringerer als Martin Heidegger stellt sich und seinen Lesern in den letzten Zeilen seines Buches “Der Satz vom Grund“, das übrigens einige von uns jüngst im Seminar unter Ruperts Führung gelesen haben, folgende Fragen: „...bleibt nicht das Wesen des Menschen, bleibt nicht seine Zugehörigkeit zum Sein, bleibt nicht das Wesen des Seins immer noch und immer bestürzender das Denkwürdige? Dürfen wir, wenn es so stehen sollte, dieses Denkwürdige preisgeben zugunsten der Raserei des ausschließlich rechenden Denkens und seiner riesenhaften Erfolge? Oder sind wir daran gehalten, Wege zu finden, auf denen das Denken dem Denkwürdigen zu entsprechen vermag, statt behext durch das rechnende Denken, am Denkwürdigen vorbeizudenken? – Das ist die Frage. Das ist die Weltfrage des Denkens. Aus ihrer Beantwortung entscheidet sich, was aus der Erde wird und was aus dem Dasein des Menschen auf dieser Erde.“ Ruperts Leben, Ruperts Werk, Ruperts Lebenswerk enthält nicht nur Antworten auf diese Fragen in kaum überblickbarer Fülle, Ruperts Leben, Ruperts Werk, Ruperts Lebenswerk besteht gleichsam aus diesen Antworten. Hat doch Rupert Lay die Fragen und Antworten zum richtigeren Denken auf- und ausgefaltet in Fragen und Antworten zum richtigeren Leben. Im November vergangenen Jahres hast Du Dich im Festsaal der Wiener Industriellenvereinigung von den rund 300 Zuhörern Deines Vortrages verabschiedet mit den Worten: „Ich wünsche Ihnen, dass Ihnen Ihr Leben gelingen möge und mir das meine.“ Besser als mit einer Wiederholung dieses Deines Wortes hier kann auch ich nicht enden. Ich danke Dir, lieber Rupert, und ich danke Ihnen allen.